Erst nachdem im Sommer 2022 das textgenerierende Modell ChatGPT erschien, nahmen breitere Bevölkerungsschichten den Begriff „Künstliche Intelligenz“ (KI) wahr. Wer dagegen schon länger mit der Datenverarbeitung zu tun hatte, für den war das Prinzip KI seit den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts ein alter Hut. Und auch die Finanzindustrie hat tatsächlich schon mehr als 20 Jahre Erfahrung mit dem, was heute künstliche Intelligenz genannt wird – die entsprechenden Methoden und Anwendungen trugen nur andere Etiketten.
Inzwischen hat die Entwicklung rund um die künstliche Intelligenz deutlich an Fahrt aufgenommen. Die bekannten Modelle – von ChatGPT bis Gemini – haben sich deutlich weiterentwickelt, und im Januar 2025 sorgte DeepSeek aus China für so großes Aufsehen, dass es zu Erdbeben an den Börsen führte. Das Besondere am chinesischen Modell ist nicht nur, dass es erheblich geringere Ressourcen als die anderen KI-Systeme benötigt, sondern, dass die zugrundeliegenden Algorithmen als OpenSource-Code veröffentlicht wurden und damit KI-Entwickler Wege für eigene Modelle eröffnet wurden.
Keine Frage, dass diese rasanten Fortschritte auch die Anwendung der KI in der Finanzindustrie stark vorantreiben und es immer mehr Unternehmen erlauben werden, eigene KI-Modelle zu entwickeln und zum Nutzen ihrer Kunden einzusetzen.
Die Entwicklung der KI in der Finanzindustrie
Um die Jahrtausendwende hielt zum Beispiel der automatisierte oder algorithmische Handel Einzug in den Wertpapierhandel. Nicht mehr Broker oder Trader trafen die Entscheidungen darüber, welche Aktien zu kaufen oder zu verkaufen seien, sondern spezielle Computerprogramme mit ihren mehr oder weniger komplexen Algorithmen. Diese digitale Methodik wurde so beliebt, dass sich zwischen 2002 und 2004 die Zahl der so getätigten Transaktionen vervierfachte.
Anstatt Werte und ihre Entwicklung auf Basis von vorhandenen Informationen persönlich zu bewerten, berechneten diese Algorithmen Wahrscheinlichkeiten durch Kombination verschiedenster Kriterien. Anwendungen des automatisierten Handels waren in der Lage, Auswertungen innerhalb von Sekundenbruchteilen vorzulegen oder sogar ohne menschliche Zustimmung auszuführen. Nachdem dies zu Verwerfungen im Handel führte, wurde die Verwendung von Algorithmen im Trading in den meisten Staaten per Gesetz reguliert.
Grundlage für die Arbeit der Algorithmen war jeweils eine Kombination aus Datenbanken und Echtzeitinformationen. Die Auswertung beider Quellen war aber durch verschiedene technische Bedingungen begrenzt. Klassische relationale Datenbanksysteme stießen an ihre Grenzen. Mit der sogenannten Big-Data-Technologie konnten diese Beschränkungen überwunden werden. Dabei kommen neue Arten von Datenspeicher- und Analyse-Systemen zum Einsatz, die parallel auf bis zu Hunderten oder Tausenden von Prozessoren beziehungsweise Servern arbeiten.
Seit rund zwölf Jahren haben bei Big Data kognitive Systeme Einzug gehalten. Diese sind nicht nur in der Lage, aus großen Datenmengen relevante Informationen zu extrahieren, sondern Entscheidungen auf Basis definierter Trigger zu treffen. Erkennt ein solches System bestimmte, teils hochkomplexe Zustände innerhalb der ausgewerteten Daten, werden Aktionen ausgelöst, beispielsweise die Anweisung, bestimmte Papiere abzustoßen.
KI hat Einzug in die Finanzindustrie gehalten
Damit hielt die künstliche Intelligenz Einzug in die Finanzindustrie. Die ersten KI-Modelle für Wertentwicklung und Risikobewertung – nicht nur bei börsennotierten Werten – wurden im Auftrag der wichtigsten Spieler im Finanzmarkt entwickelt und eingesetzt.
Aktuelle, konkrete Beispiele für KI-getriebene Systeme in der Finanzindustrie sind:
Marcus / Goldman Sachs
Marcus verwendet KI-Algorithmen, um Kreditanträge zu bewerten und personalisierte Finanzempfehlungen zu geben. Die KI unterstützt auch den Kundensupport durch Chatbots, die häufig gestellte Fragen beantworten.
Aladdin (Asset, Liability, Debt and Derivative Investment Network) / BlackRock
Aladdin ist eine umfassende Plattform, die KI nutzt, um Portfoliorisiken zu analysieren, zu überwachen und zu managen. Sie bietet Einblicke in die Risikofaktoren und hilft Managern, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Robo-Advisor / Betterment
Betterment nutzt KI, um individuelle Anlagestrategien für Kunden zu entwickeln. Der Robo-Advisor analysiert die finanziellen Ziele und Risikobereitschaft der Kunden, um maßgeschneiderte Portfolios zu erstellen.
Auch J.P. Morgan, die Citibank, IBM Watson und die Deutsche Bank nutzen eigene KI-Anwendungen.
Beispiel: LIXX kooperiert mit FinScience
Ein weiteres Beispiel: LIXX, der Indexanbieter von Chartered Investment, hat im Jahr 2024 in Kooperation mit FinScience fünf innovative Indizes aufgelegt, die beispielhaft zeigen, wie durch künstliche Intelligenz Trends schneller erkannt und eine optimale Auswahl von Aktien ermöglicht wird. In einem von KI-Algorithmen kontinuierlich ausgewerteten Big-Data-Bestand bezieht FinScience Inhalte aus dem Internet. Während FinScience mit KI-Algorithmen kontinuierlich einen umfassenden Big-Data-Bestand auswertet und täglich Inhalte von etwa 1,5 Millionen Webseiten auf 35.000 Domains analysiert, bringt LIXX spezifische Expertise in die Kooperation ein. LIXX entwickelt die Ergebnisse der KI-Analysen in konkrete Finanzprodukte weiter: Dazu gehören die Übersetzung der identifizierten Trends in präzise formulierte Indexmethodologien und die professionelle Berechnung der Indizes. Auf Basis dieser Indizes könnten beispielsweise über die Plattformen von Chartered Investment Index-Tracker erstellt werden, die Investoren einen direkten Zugang zu den KI-basierten Investmentstrategien ermöglichen.
Der Vorteil des FinScience-Ansatzes bei der Webanalyse ist, dass er jede Art von Thema abfangen kann: FinScience sammelt Daten und Informationen, die von Unternehmen, Nachrichtenquellen, Blogs oder über soziale Medien verbreitet werden. Die Datenpipeline von FinScience ermöglicht eine allgemeine Stichprobe, die potenziell Inhalte zu einer Vielzahl von Themen umfassen kann. So erkennt das verwendete FinScience-Modell Trends, die selbst erfahrensten Finanzanalysten oft verborgen bleiben.
Mit Edge stellt FinScience jetzt eine nutzerfreundliche Plattform bereit, mit der ihre Kunden Themenrecherchen eigenständig durchführen können. Aktuell werden mehr als 70 relevante Themen aus Bereichen wie Technologie, Finanzwirtschaft, Nachhaltigkeit und Digital Lifestyle angeboten. Zu jedem Bereich und jedem einzelnen Thema gibt die Plattform eine Fülle relevanter Kennzahlen aus. Außerdem stellt FinScience Edge eine Liste aller im jeweiligen Thema aktiver Unternehmen samt zugehöriger Finanzdaten bereit. Registrierte Kunden können nun ihr persönliches Portfolio zusammenstellen und so eine eigene Investmentstrategie definieren.
Ohne ein solches KI-Modell wäre es realistisch betrachtet unmöglich, derart granulare Daten tagesaktuell zusammenzustellen. Die wesentliche Arbeit von FinScience besteht darin, ihr KI-Modell so mit historischen Daten zu trainieren, dass es immer selbstständiger immer wertvollere Informationen liefert – ein prägnantes Beispiel dafür, was die Künstliche Intelligenz in der Investmentbranche leisten kann.
KI ist die Zukunft der Finanzindustrie
Die Bandbreite der möglichen Einsatzgebiete der KI in der Finanzindustrie umfasst praktisch alle existierenden Anwendungen in den Bereichen Risikoanalyse, Bewertung, Produktentwicklung, Indexerstellung und Handel. Deshalb wird die Zukunft der Finanzindustrie durch die integrative Kooperation von menschlicher Expertise und künstlicher Intelligenz bestimmt sein.